Angst-Zyklus
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Horst Willenberg
Essen und Bielefeld
* 1954
Künstlerisch tätig seit 1968
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Ängste – Ein Zyklus in 7 Schritten

 

Angst vor Ängsten

Angst - ein Begriff, der vereinsamt, feige oder machtbesessen werden lässt. Ängste sind Wirkungen und Ursache voller Querverbindungen. Eine Angst ist meine Selbstsucht. Dieses tiefe Unbehagen, meine Abgründe zu sehen. Meine Angst, meine Schwächen zu benennen. Meine Angst ist das Gewisse, Beständige meiner Unsicherheit. Eine weitere Angst ist die, beim Nächsten für mich Nachteiliges zu erkennen. Angst vor den Menschen, die anders sind, das ist meine Furcht, nie anders sein zu können als ich bin. Mir aus Angst Grenzen setzen zu lassen, um nicht mehr über meine Grenzen hinaus zu denken. Angst verändert mich, ich verändere meine Gefühle - es bleibt meine Angst vor meinen Gefühlen. Es scheint furchtloser, nicht von meinen Ängsten zu sprechen.

 

Ängste ohne Angst

Aufgrund meiner Unentschlossenheit lenke ich von mir ab. Aus Gewissenlosigkeit mir selbst gegenüber nenne ich meine Ängste nicht beim Namen. Weil die Angst sich nicht einschüchtern lässt, verleugne ich sie. Ich entferne mich von mir, wobei ich mir zu nahe trete - was mich wiederum von mir entfernt. Ängste selbst sind meinungslos - Zeichen der Unsicherheit. Angst ist Unbehagen. Bewusste Ängste erkennen das Unbehagen. Bewusstes Unbehagen ist nicht meinungslos. Verschweigen der unbewältigten Vergangenheit. Ich bin nicht stark genug für meine Schwächen. Die Angst, meine Schwäche zu benennen. Angst, mich zu meinen Schwächen zu bekennen. Meine Ängste beim Namen zu nennen, kann nur damit beginnen, über meine Feigheit zu sprechen. Ohne Angst, Ängste auszusprechen, ließe sich jede Angst verschweigen.

 

Angst vor der Feigheit

Die Befürchtung eingestehen, mein Misstrauen zu bejahen. Misstrauen ist Zweifel, aber woran? Misstrauen ohne Offenheit ist Furcht vor der Widerlegung. Gutgläubig vor Schreck! Aus der Befürchtung, mich zu erkennen, lasse ich um meine Ängste rätseln. Und was es bedeutet, eine offene Aussprache nicht offen auszusprechen. Unverständliche Aussagen zu hinterfragen anstatt zu schweigen. Unangebrachte Tatsachen vorwerfen, um meinen Neid zu rechtfertigen, und dabei, nebenher, die Gehässigkeiten, aufgrund meiner Eifersucht, nicht bewusst werden zu lassen. Misstrauen zerstört auch berechtigte Ängste. Meine Feigheit auszusprechen wäre eine Angst weniger.

 

Ärger mit der Angst

Unwichtige Ängste gibt es nicht, sie hören nicht auf einen Namen zu wollen. Es beunruhigt mich, dass Ängste wie Ursache und Wirkung zugleich erscheinen. Mit Bestimmtheit sind unbestimmte Ängste maßgebend. Das Zittern in meiner Stimme ist die Angst vor der Angst, die ich nicht ausspreche. Ängste verbergen, wegen der Lächerlichkeit und den Verärgerungen. Ängstlich vor Ängsten, die Angst erhalten; ein Teufelskreis, hier ärgerlich Ärgernissen aus dem Weg zu gehen. Üble Nachreden, um die Ängste nicht auszusprechen. Angst vor der Beschämung - diese Angst macht wütend. Unausgesprochene Angst vereinsamt.

 

Wege zur Angst

Angriff auf andere Ängstliche, um mein angstvolles Schweigen nicht bloßstellen zu lassen. Angst kann sich zur Feigheit steigern, entweder zur Opferbereitschaft oder zum Heldenmut. Angstgefühle bedenken nimmt dem Aussprechen die Wucht. Meine Ängste weisen auf mein Unverständnis, den Weg zur Angst zu nehmen.

 

Die letzte Angst

 

Vor der untergehenden Sonne

sowie den aufgehenden Sternen

Angst meine Ängste zu erklären

 

Angst vor den Menschen, die schnell fortgehen

und Wagen, die auf mich zurollen

dazu meine Ängste gestehen

mich selbst als Minderheit zu fühlen

 

Die sorgenfrei-ruhigen Gestalten

sich unverstanden zu begegnen

 

Angst vor jeder Art Beharrlichkeit

so vor aller Unbeständigkeit

Alleinsein ohne es zu wollen

 

Angst, die Dinge richtig zu stellen

oder die Sache anzupacken

Angst zu wollen

ist Angst zu sprechen

 

Feigheit ist ängstliche Wirklichkeit

doch Wirklichkeit,

die Feigheit zulässt

Feigheit ist Angst

vor der Wirklichkeit

 

Angst also vor meinem Verhalten

Angst auch vor meinem Nicht-Verhalten

 

Angst, jetzt genug sagen zu können

 

 

Angst – Los

Was steht zwischen Langeweile und Schaffensdrang. Wie geraten wir vom Schaffensdrang zur Langeweile? Was befähigt uns, aus der Langeweile Schaffensdrang zu entwickeln? Bedeutung aus einer Begriffsbestimmung heraus suchen. Der Lebenslage angemessene Bewegungslust - als Gegensatz zur Regungslosigkeit - ist Schaffensdrang. Notwendige Langeweile, die Kraft zur Entspannung, wenn sie angebracht ist. Die einsetzende Langeweile ist eine schockartige Entspannung und sich zu langweilen der Schockzustand. Existieren - im Leben zu bestehen. Hin und her zwischen Sein und Werden. Völlig ohne Anlass, gerade jetzt und hier, eine Entscheidung treffen. Unbestimmter Schaffensdrang strebt zur Existenz. Das Leben veranlasst mich aus mir heraus für mich etwas zu tun. Dies als Dauerzustand erzeugt sich steigernden Egoismus. Dann einer Langeweile nachgeben zu wollen, während ich weiß, dass, und was, ich schaffen möchte - oder umgekehrt. Langeweile - eine schockartige Entspannung, in dem Bewusstsein, dass sehr viel zu tun wäre. Schaffensdrang - entspannt genug, um der Ruhelosigkeit, mit einem zielgerichteten Vorgehen, zu begegnen. Ein Widerspruch in sich?

 

All meine Ängste ließen mich bisher leben, aber die Angst vor dem Leben bringt mich dem Sterben näher. Den Ängsten zuliebe leben? Im Glauben, ohne Leben etwas zu verpassen? Wohl kaum. Eher die Angst, dass der Tod schlimmer oder auch nur gleich dem Leben ist. Niemals Angst vor dem Leben haben? Das wäre nichts anderes als Größenwahn. Unbewusste und verdrängte Wahrnehmungen und Erfahrungen, durch Ängste ins Erleben eingebracht? Jede bewusst werdende Angst bedeutet, dass ein Schritt Selbsterkenntnis möglich geworden ist.

Bielefeld, den 11. April 1993 / 10.6.2013